Die für die Funktion unserer Gesellschaft elementare Ökonomie steht vor gewaltigen Herausforderungen und Veränderungen, die unweigerlich auf uns zukommen: Was wird aus Europa und dem Euro? Droht uns eine Inflation? Wird sich das Lohndumping weiter ausbreiten? Wachsen noch mehr Kinder in Armut auf? Wird sich die soziale Schere immer weiter öffnen? Was ist mit den Rohstoffvorräten unserer Welt? Können wir unsere etablierte Ökonomie überhaupt noch reformieren? Oder droht uns gar ein Systemcrash?
All diese Fragen standen deutlich erkennbar hinter den Vorträgen von ausgewählten Fachleuten unterschiedlichster Disziplinen und Arbeitsgebiete. Diese transdisziplinäre Vorgehensweise scheint denn auch tatsächlich die einzige Möglichkeit zu sein, das komplexe Wesen einer globalisierten Ökonomie so weit sichtbar zu machen, dass sich das Zusammenspiel der einzelnen Bestandteile zeigt. Dieses Zusammenspiel ist aber offensichtlich massiv gestört. Die immer schneller aufeinander folgenden Systemkrisen unserer Ökonomie sind daher kein Zufall. Das Gegenteil ist der Fall, zumal unsere globalisierte Ökonomie zunehmend und immer deutlicher an die Systemgrenzen unseres Planeten und seiner Ressourcen stößt.
Erster Tag: Ist die etablierte Ökonomie noch zu retten?
- Dr. Michael Harder: „Die Physik der globalisierten Ökonomie“
Unser ökonomisches System wird zunehmend komplizierter und komplexer – aber nur wenn wir es verstehen, können wir zukünftig die richtigen Entscheidungen treffen. Deflation oder Inflation, Export oder Binnenmarkt, Staatsschulden und Eurozone, Politik und Großindustrie, Realökonomie und Finanzsystem, Demografie und Niedriglöhne – wohin steuert unsere Wirtschaft? Neue Ansätze aus der Physik der Komplexen Systeme können die Zusammenhänge erklären und weisen auf elementare Konstruktionsfehler in unserem ökonomischen System hin. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich seit etwa 25 Jahren – mit dem zunehmenden Erreichen von Systemgrenzen – die Spielregeln der Ökonomie massiv verändert haben. Das Problem: Es gibt derzeit keine praktizierte ökonomische Lehre, die das auch nur annähernd erkannt hat.
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- Prof. Dr. Heiner Flassbeck: „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“
Die europäische Euro- und Finanzkrise ist u.a. auch darauf zurückzuführen, dass weder die verantwortlichen Politiker noch ihre ökonomischen Berater begriffen haben, was eine Währungsunion bedeutet und wie sie funktioniert. Grundlage einer gemeinsamen Währungsunion ist aber nicht mehr und nicht weniger als eine angestrebte gemeinsame Inflationsrate. Die erreicht man, wenn alle monetären Ansprüche in einer Volkswirtschaft, vor allem aber die Löhne, um nicht mehr als das Inflationsziel über der eigenen Produktivitätszuwachsrate liegen. Mit dem Ergebnis, dass jedes Land einer Währungsunion gemäß seinen eigenen Verhältnissen leben kann.
Gegen diese einfache Regel hat in den vergangenen zehn Jahren aber ausgerechnet Deutschland mehr als jedes andere Land verstoßen. Deutschland hat mit seiner Exportorientierung deutlich unter seinen Verhältnissen gelebt, während die Südeuropäer in der Tat etwas über ihren Verhältnissen gelebt haben. Eine funktionierende europäische „Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“ muss dies dringend korrigieren.
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- Prof. Dr. Bernd Senf: „ Zur Problematik des Bestehenden Geldsystems“
Die grundsätzliche Lebens- und Nachhaltigkeits-Feindlichkeit unserer Ökonomie liegt besonders tief verborgen im Zins, der als Kreditzins in die einzelwirtschaftlichen Geld- bzw. Finanzierungskosten einfließt. Durch ihn wird das eingesetzte Geldkapital – vor allem durch den Zinseszins – in exponentieller Weise (!) vermehrt. Wenn dieser Zinseszins als leistungsloses Einkommen aber gleichzeitig Geldvermögen exponentiell wachsen lässt, müssen spiegelbildlich dazu die Schulden an anderer Stelle des Geldsystems exponentiell anwachsen – womit auf Dauer kein reales Wachstum des Sozialprodukts Schritt halten kann.
Die Folge davon ist, dass die Zinslasten einen immer größeren Teil des Sozialproduktes auffressen und unter dem Druck der Gläubiger immer mehr Schuldner (einschließlich dem Staat) in den Zusammenbruch getrieben werden. Lösungsansätze für dieses Dilemma bestehen in der Einführung einer staatlichen Monetative oder zusätzlichen Regionalwährungen.
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Zusammenfassung des ersten Tages:
Die aktuellen ökonomischen Krisen sind auch eine Krise der Politik, die sich – unter dem Einfluss falscher, aber bisher im Vordergrund stehender ökonomischer Paradigmen – als zunehmend orientierungslos erweist. Die Krise der Eurozone, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die Benachteiligung von Niedriglöhnern und Familien, die systemgefährdenden Auswüchse des Casinokapitalismus und viele weitere Symptome sind auf einen eklatanten Mangel an Wissen über die komplexen Zusammenhänge einer Ökonomie bzw. an eine mangelnde Bereitschaft, diese verstehen und positiv umsetzen zu wollen, zurückzuführen. Es ist aber die Aufgabe der Politik, makroökonomische Herausforderungen anzunehmen, diese zu durchleuchten und dann angemessen in politische Prozesse umzusetzen.
Für eine „Rettung“ der etablierten Ökonomie sind die Herausforderungen und Instrumente aber – so das Ergebnis der Diskussionen auf diesem Symposium – durchaus erkennbar. Sie bestehen zum Einen darin, dass nationale Wirtschaften nicht nur wachsen, sondern ggfs. auch schrumpfen müssen. Für Deutschland bedeutet dies, will man die Eurozone aufrecht erhalten, beispielsweise – über eine Steigerung der Lohnstückkosten – ein schon kurzfristiges Senken der Wettbewerbsfähigkeit incl. der ausgeprägten Exportorientierung. Zum Anderen bedarf es einer massiven strukturellen Veränderung des Geldsystems (Einführung einer Monetative, Trennung von Realökonomie und Spekulation).
Weiter wird es darum gehen, die gesellschaftliche „Subvention“ der Großindustrie durch die günstige Bereitstellung von ökologischen Ressourcen und Erwerbsarbeit (Niedriglohnpolitik) sowie Familienarbeit (u.a. Generationenvertrag vs. einzahlungsgebundene Rente) wieder aufzuheben. Dahinter steckt die überraschende Erkenntnis, dass die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft heute – nach dem Erreichen von Systemgrenzen – nicht mehr dazu führt, dass es der Gesellschaft besser geht, sondern diese Gesellschaft (vertreten durch den Staat) zunehmend „ausblutet“. Und über die vielfältigen Interdependenzen letztendlich Staatskrisen bis hin zu Staatspleiten die Folge sein werden.
Es steht daher die Frage im Vordergrund, ob die gewählten Politiker sich diesen dringlichen Herausforderungen in angemessener Zeit stellen werden und in der Lage sind, alte Paradigmen aufzugeben? In der Diskussion wurde dies bezweifelt. Es wird wohl erst weitere schwere Wirtschafts- und Finanzkrisen brauchen. Systemischen Theorien zufolge werden diese dann aber heftiger ausfallen als die bisherigen.
Zweiter Tag: Grundgedanken einer neuen Ökonomie
- Dr. Michael Kalff: „Systemcrash? Und was kommt danach?“
Die aktuellen Krisenszenarien beschäftigen sich derzeit vorwiegend mit zwei Themen: Einerseits mit den Gefahren der Finanzmärkte und den damit verbundenen Systemgefahren, die aus dem Platzen von „virtuellen“ Finanzblasen herrühren, und andererseits mit der kommenden Ölknappheit (Peak Oil). Wir stehen aber vor vielen weiteren Systemgefahren, die jede für sich zu einem Crash unseres westlichen Wirtschaftssystems führen können.
Die Schlussfolgerung: Unser Wachstumsmodell funktioniert nicht mehr. Die Industriegesellschaft, wie wir sie heute kennen, ist am Ende. Wie können Post-Crash-Welten aussehen? Hierzu existieren unterschiedliche Szenarien, die alle von globalen Grundgedanken ausgehen. Ein gelingender Übergang in eine globale Gesellschaft erfordert aber wichtige Transformationen unserer bisherigen Paradigmen. Eine Ökonomie ohne Wachstum (Steady State), zukunftsfähige Geldsysteme, sozial wesentlich gerechtere Umverteilungen (Grundeinkommen?), eine veränderte Arbeitswelt und eine Stärkung des zivilgesellschaftlichen Sektors werden dabei eine wichtige Rolle spielen, um einen „neuen nachhaltigen Kapitalismus“ zu schaffen.
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- Prof. Dr. Niko Paech: „Grundlagen einer Postwachstumsökonomie“
Wirtschaftswachstum ist keine Option mehr für das 21. Jahrhundert. Die Verbreitung von Hunger und Armut, der drohende „Peak Oil“, der sich mehr und mehr als Teil eines „Peak Everything“ erweist, der Klimawandel als Zeichen ökologischer Grenzen und auch Katastrophen wie Fukushima zeigen die Grenzen unserer Ökonomik. Das Resultat: Die klare Forderung nach einer Postwachstumsökonomik.
Den Weg dahin weist die Frage: Welche Phänomene sind es, die zu den sozialen und ökologischen Verwerfungen des modernen Wirtschaftens führen? Als elementare Antwort erweist sich die sog. Fremdversorgung, die grundlegend zu den pathologischen Erscheinungen wie dem Effizienzmythos, der sozialen Vulnerabilität und zum strukturellen und kulturellen Wachstumszwang führt. Setzt man bei Lösungsmodellen hier an, stehen schnell wichtige Begriffe wie Resilienz, Subsistenz und Suffizienz im Vordergrund. Die Zukunft einer Postwachstumsökonomie liegt damit in einer grundlegenden Veränderung des Lebens- und Arbeitsstils unserer Gesellschaft und unserer Produktionsstrukturen, die sich alle recht genau beschreiben und in einem übergreifenden Maßnahmenkatalog zusammenfassen lassen.
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- Ralph Boes: „Grundeinkommen in Gesellschaft und Familie“
Zur Verringerung des zunehmenden Wohlstandsabstandes von Reich und Arm sowie zur Förderung familiärer und gemeinnütziger Aufgaben wird seit einigen Jahren zunehmend die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens überlegt. Es kann ein wichtiges Instrument sein, die Folgen aus der Produktivitätssteigerung wie hohe Arbeitslosigkeit mit all den entsprechenden Sekundärfolgen (u.a. HartzIV und Kinderarmut und soziale Degradation) zu mindern.
Die Finanzierung eines derartigen Grundeinkommens ist durchaus als realistisch zu bezeichnen, es erfordert allerdings eine sinnvolle Umgestaltung der derzeitigen kostenträchtigen sozialen Verwaltungsstrukturen.
- Podiumsdiskussion:
„Glück statt Bruttoinlandsprodukt? Mehr Sein statt Tun? Welche Leistung soll sich lohnen?“
Teilnehmer: Prof. Dr. Niko Paech, Dr. Michael Kalff, Dr. Michael Harder
Bei diesem Symposium wurde bewusst auf einen einzelnen Vortrag zu diesem Thema verzichtet, um dieses interessante und vielfältige Thema nicht mit einer dann möglicherweise reduzierten Sichtweise zu „erschlagen“ Stattdessen wurde die Form der Podiumsdiskussion gewählt.
Hintergrund: Das Unbehagen am BIP als messbaren Erfolgsfaktor einer Gesellschaft hat mittlerweile auch die regierenden Politiker erfasst. So hat der französische Präsident Sarkozy Anfang 2008 eine Kommission unter Leitung des Ökonomen Joseph Stiglitz (= Stiglitz-Kommission) eingesetzt, um der Frage nachzugehen, wie man das Wohlergehen einer Gesellschaft messen kann. Ende November 2010 hat der britische Premierminister David Cameron das britische Amt für Statistik beauftragt, einen „Happiness-Indikator“ als Grundlage für künftiges Regierungshandeln zu entwickeln. Und im Dezember 2010 hat der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ eingesetzt.
Grundlage dafür ist zusätzlich die Erkenntnis, dass ab einem gewissen Wohlstand eine weitere Steigerung des Einkommens kaum zu einer erhöhten Lebenszufriedenheit beiträgt (Easterlin-Paradoxon).
Der Himalaya-Staat Bhutan hat sogar die Steigerung des „Bruttosozialglücks“ zur Staatsphilosophie ernannt. Nun ist Bhutan ein nach Außen abgeschotteter Staat. Dort ist die Einführung anderer Wertmaßstäbe einfach. In den vielfach verknüpften, offenen westlichen Gesellschaften ist ein derartiger Paradigmenwechsel naturgemäß deutlich schwieriger.
Ist dieser Paradigmenwechsel in der Messlatte gesellschaftlicher Erfolge aber wichtig für eine nachhaltige Ökonomie? Liegt hier gleichzeitig der eigentlich wirksame Anreiz für einen Richtungswechsel in ökonomischen Fragen? Und wie kann man „Happiness“ messen? Oder sind andere Größen geeigneter?
Die vielen Aspekte dieser Diskussion sind hier (versuchsweise) zusammengefasst:
Zusammenfassung des zweiten Tages:
Die vorgetragenen Fakten und Ansichten weisen deutlich darauf hin, dass eine Art „Crash“ unseres derzeitigen Wirtschaftssystems unvermeidlich ist – wenn nicht bereits kurzfristig die notwendigen Transformationen in unserer Gesellschaft beginnen. Was aufgrund des Zögerns der Politik nicht zu erwarten ist.
Es bleibt aber die Frage, wann und in welcher Form der Crash kommen wird. Ist es ein Crash der Sozialversicherungen, des Politikversagens, der Demografie, der Rohstoffversorgung, der Wirtschaft und ihres Wachstums, des Finanzsystems und damit der Banken oder der Staatsverschuldungen oder ist es sogar einer, den noch niemand auf der Rechnung hat?
Unabhängig davon zeichnet sich ab, wie eine Industriegesellschaft der Zukunft aussehen müsste. Es würde eine Postwachstumsökonomie sein, in der ein Rückgang der materiellen Überproduktion und Überversorgung durch bessere und gerechtere Verteilungen kompensiert werden wird, in der die Grenzen des Systems Erde integriert sein werden, in der die Arbeit anders verteilt sein wird und veränderte Geldsysteme eine Rolle spielen werden. Regionale Aspekte und soziale Gemeinschaften werden den zivilgesellschaftlichen Sektor wieder stärken, mehr Eigenversorgung und Genügsamkeit werden zunehmend zur Stabilisierung der Gesellschaft beitragen, der wahre Wert von Produkten wird wieder mehr geschätzt werden als ihr Scheinwert. Unser aller Lebensstil und Arbeitsstil wird verändert sein, neue Balancen von Selbst- und Fremdversorgung werden entstehen und regionale Nachbarschaften werden eine größere Rolle spielen, auch bei der Produktion und der Vermarktung. Die Industrie wird sich an stofflichen Nullsummenspielen orientieren müssen, die Rückgewinnung von Rohstoffen wird eine wichtige Rolle spielen und nicht mehr benötigte Flächen für Industrie und Mobilität werden zurückgebaut sein.
Durch Umverteilung der Arbeitszeiten werden zeitliche Freiräume geschaffen, die für Eigenversorgung und gesellschaftliche Aktivitäten incl. Nachbarschaftshilfe genutzt werden können. Neue Wertemodelle werden entstehen, die die politische Orientierung am BIP aufheben. Die Fähigkeit zur Zufriedenheit und zum „Glücklichsein“ mit dem, was man hat, wird damit eine große Rolle bei dieser Postwachstumsökonomik spielen. Damit bleibt aber die Frage offen, welche Wertemodelle geeignet sind, die eine ökonomische Maximierung erlauben? Nahe liegt es, die Ökonomie wieder in den Dienst des Menschen zu stellen, wie es eigentlich sein sollte, und alles wieder (?) am Menschen zu messen. Das muss aber politisch gewollt sein und erfordert einen gesellschaftlichen Bewusstwerdungsprozess. Die Herausforderung stellt sich jedenfalls der Politik und der von ihr geförderten gesellschaftlichen Willensbildung.
Bei allem Positiven, das diese Zukunftsvision beinhaltet, bleibt aber ein großes Unbehagen, wie der Übergang, wie also der wahrscheinliche Crash des Systems erfolgen wird und welche Begleiterscheinungen er mit sich bringen wird? Und wie das anscheinend naturgegebene Streben vieler Menschen nach Mehr in eine Ökonomie ohne Wachstum hineinpasst? Geht nach einem heftigen Crash doch wieder alles von vorne los, wie gehabt? Gegen diese Vermutung stehen – längerfristig gesehen – aber die begrenzten Ressourcen. Man darf gespannt sein.